Nun ist er gegangen, ganz hinübergegangen: Unser geliebter Lehrer aus Vietnam, den ich zuerst als Dichter kennen- und lieben gelernt hatte, dann als schreibenden Lehrer, später persönlich, darauf komme ich noch zurück.
„Beginning Anew“, „Neu beginnen“, die „Blumen des anderen wässern“, ein schriftlicher Friedensvertrag für Freunde und Paare, Versöhnung zwischen Eltern und Kindern, Versöhnung mit dem Inneren Kind: Das fand sowohl auf der großen, internationalen Bühne statt wie auf den kleinen Bühnen unseres täglichen Lebens. Von diesem großen, bescheidenen Lehrer mit der fein donnernden Stimme habe ich schon gelernt, dass die „geschickten Mittel“ für Frieden unter Gruppenmitgliedern, Liebespaaren und Nationen nicht anders sind. Politik ist eine Illusion wie alle Berechnung in Beziehungen. Immer geht es um das Gleiche: radikale Wertschätzung des anderen, die Bereitschaft, mit offenem Visier durch die Welt zu gehen, ehrlich und verwundbar zu sein, auf Rechthaberei und Gewinnmaximierung zu verzichten, zuhören, zuhören, zuhören und um Ausgleich ringen. Immer das große Ganze, das Gemeinwohl, im Blick zu haben, in welches Mutter Erde, die Elemente, Tiere, Pflanzen und grundlegende Werte einzubeziehen sind, die universale Gültigkeit haben.
„Verstehen ist Liebe“, hat er oft geschrieben, in seiner wunderschönen Schrift, und wie recht hat er, wie modern, wie aufgeklärt ist, nein war, dieser Mönch, dieser Flüchtling, der wegen seiner Friedensaktivitäten und Wahrheitsliebe nicht mehr zurück in sein Land reisen durfte. Er hat uns vorgeführt, wie wir „Das Wunder des bewussten Atmens“, des bewussten Gehens, Essens, Trinkens wahrnehmen, ja, praktizieren konnten, um buchstäblich in jeder Situation das Gute, Güte, Freundlichkeit, Mitgefühl entstehen zu lassen. Er hätte vielleicht gelächelt und ergänzt: einen Lotus erblühen zu lassen.
Ich verneige mich tief vor meinem ersten Zen-Meister. Später sollte erst seine Heiligkeit Dalai Lama dazukommen, und dann andere Zen-Meister und Zen-Meisterinnen, um mein persönliches Mandala von Ältesten, Weisen, Bodhisattvas zu formen.
Doch Du, geliebter und verehrter Thich Nhat Hanh, der das Haus Siddharta eingeweiht hat, ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr genau, bist mir ganz besonders teuer! Tatsächlich bereiteten wir uns wochenlang auf diesen Besuch vor. Das Wohn- und Meditationshaus war nämlich noch gar nicht so lange bezogen worden, und es gab noch viel zu tun! Zum ersten Mal habe ich erfahren, wie es sich anfühlt, mit der eigenen Arbeit an einem solchen spirituellen Gemeinschaftsprojekt beteiligt zu sein. Man liebt es ganz besonders. Ich werde nicht vergessen, wie ich die schönen schwarz-weißen Kacheln im Gästezimmer, das Thays Zimmer werden würde, zum Glänzen brachte und mich draußen an der Mauer, die voller Flecken war, abarbeitete. Mein damaliger Mann Reiner widmete sich dem herrlichen Garten mit einem bezaubernden Teich. Am Tag, als der Dichter aus Vietnam, dessen geführte Meditationen und gesprochene Sprache wie Musik klangen – ein Lyriker eben, durch und durch –, standen wir, ein Trüppchen vielleicht aus dreißig bis fünfzig Menschen aus Bonn und Umgebung, am Eingangsweg zum Haus, als wir die braun gekleideten Nonnen und Mönche erblickten: Wie eine Welle kamen sie auf uns zu, so leicht kann Gehmeditation sein! Nicht nur mir blieb fast das Herz stehen vor diesem Anblick. Wir stellten uns so auf, dass die Gäste durch unsere Reihen schritten, freundlichst lächelnd, und gleich in den Garten durchgingen. Da standen oder saßen sie nun, ein paar Bänke standen bereit, und ich glaube, wir sangen miteinander. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Damals kannten wir noch alle einschlägigen Chants. Ich erinnere mich, wie wir mit der Hand eine Blume nachbildeten und sangen: „… und ich blühe, wie die Blume, ich bin frisch, ich bin frisch, ich bin frisch.“ Vielleicht haben wir es auch später gesungen. Im ersten Stock habe ich ganz nah auf dem Boden bei dem Meister gesessen, in dem großzügigen Wohnzimmer, während Thay die Ess-Meditation anleitete. Sie dauerte, weil viele Menschen sich unten versorgten, und alle begannen stets gemeinsam. Die Texte habe ich nie mehr vergessen. Diese Würdigung der praktischen Arbeit aller, bis die Mahlzeiten bei uns in der Schüssel ankamen, das konnte nur er.
Wir spürten, Thay liebte mit dem Herzen eines Kindes und der Weisheit eines Buddhas die Elemente, die Bäume und Pflanzen, die konkrete Erde und ihre Geschöpfe. Aus dieser tiefen Liebe entsprangen Sorge, Fürsorge und herzliches Engagement für das, was man damals „ökologisches Gleichgewicht“ nannte. Für ihn war die Klimakatastrophe keine Überraschung, und er musste sie auch nicht kleinreden.
Er würde weiterhin alles Schützenwerte geschützt, seine Wahrheit lächelnd und fest verkündet, die Weisheit Buddhas gelehrt haben: bescheiden und achtsam zu leben und Schmerzen jeglicher Art als Glocke der Achtsamkeit wahrzunehmen, denen man mit einem tiefempfundenen Lächeln zumindest den Stacheln nehmen kann. Vielleicht können wir aber die Schmerzen, das Unerträgliche, Hässliche und Gemeine auch gänzlich verwandeln: Thich Nhat Hanh jedenfalls stand dafür.
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