Natürlich ist es eine Schreibblockade, die mich seit dem brutalen Angriff der Hamas auf Israelische Zivilisten, Kinder, Babies, alte und kranke Menschen im Griff hat. Ich bin selber, als weit entfernt lebende Zeugin, noch nicht einmal Augenzeugin, wie betäubt, für Minuten zwischendurch, bis es wieder einigermaßen in mir fließt. Ich fange jetzt einfach mal an, denn dies ist nicht der einzige zu schreibende Text.
Kaum hatten wir diese entsetzliche Neuigkeit hinuntergeschluckt wie eine hässliche Kröte – vielleicht würgen wir immer noch daran und winden uns in Krämpfen, ob wir sie nicht doch lieber ausspeien und die Angelegenheit den Politikern überlassen sollten, da kam es, wie es kommen musste und vielleicht irgendwo, insgeheim und verdeckt, provoziert war: Ein erster – soviel ich weiß – Anschlag fand auf eine Moschee in Deutschland statt. Klar, kann man sich denken. Die Freundinnen, Freunde Israels kamen in Schwung, beteuerten ihre Solidarität, erinnerten an Staatsräson, die ersten bundesweiten Kundgebungen für Israel wurden geplant und durchgeführt. Wird das eigentlich beobachtet, bemerkt in Israel? Ist man berührt, getröstet oder findet, es könnte noch viel mehr sein?
Die israelische Regierung äußert sich mehr oder minder in diese Richtung: Es müsse jetzt hart durchgegriffen werden. Von Abdrehen der Zufuhr an Wasser und anderen Ressourcen ist die Rede. Ist Hamas nun Hamas oder Palästina? Wenn Hamas „nur“ Hamas ist, ein verrohter, radikalisierter „Haufen von Kämpfern“, denen Vieles egal zu sein scheint (Ethik, ihr Ruf), wieso wird dann ganz Palästina bestraft? Weil man nicht weiß, wo sie sich verstecken? Will man damit erreichen, dass die Palästinenser*innen in ihrer Not selber die Verstecke der Hamas aufspüren und diese verraten? Also, dass jedeR hinter jedem Palästinenser einen Radikalen vermutet? Sollen sie sich doch gegenseitig niedermetzeln! – ist das gewünscht, aber nicht ausgesprochen?
Es gibt jedoch ein grosses Problem: Jüdinnen und Juden möchte ihre Angehörigen, die sich in Gewahrsam der Hamas befinden, möglichst heil und möglichst bald wieder zu Hause sehen! Dieser Wunsch steht berechtigterweise ganz oben und behindert die Kriegsidee nach nebenan, die sogenannte Bodenoffensive. Noch. Denn vielleicht, so mutmaßt man, stellt Hamas die Bedingung: Jeder Angriff kostet das Leben einer Geisel. Jeder aus dem Gefängnis freigelassene Palästinenser führt zur Freilassung einer Geisel. Das heisst im Klartext: Erst Gefangenenaustausch, dann Rache?
Ich glaube, auch hier darf man sich auf einen längeren Prozess gefasst machen, wenn niemand die Nerven verliert, frei nach dem Motto: Wir machen jetzt alles platt, nehmen die weiteren Verluste in Kauf, haben gezeigt, wer hier das Sagen hat.
Ich fantasiere weiter (es ist NICHT, was ich will!): Ganz Palästina läge in Schutt und Asche, wie man es von Fotos und inneren Bildern aus Deutschland, Tokio, Syrien und Yemen – welche Städte/Länder habe ich vergessen? -, kennt. Antisemitismus würde blühen, Muslime der Welt wären aufgebracht, und der nächste Krieg wäre in Vorbereitung.
Wer hilft mit wessen Waffen wo aus? Neulich sagte jemand, im Grunde liefe alles auf einen Krieg zwischen den drei Großmächten: Russland, China, USA hinaus. Wer hat den leichtesten/besten Zugang zu wichtigen Ressourcen und kontrolliert diesen?
Das auch nur zu denken, während unaufhörlich gestorben wird, übrigens auch einfach an Hunger, Durst und unbehandelten Wunden, ist alles so widerwärtig und hinterhältig (mit den wahren Motiven wird hinter’m Berg gehalten), dass man an die Zumutungen des Klimas gar nicht mehr zu denken braucht. Diese werden für Überraschungen und Ablenkung vom Kurs sorgen.
Vor lauter Krieg und Demonstrationen vor Waffenfirmen, deren Unternehmer jetzt wieder strahlen, vor Friedensdemonstrationen in Büchel, Bremen, Nörvenich, demnächst Berlin, weil es einen Vertrag gab, dass VON DEUTSCHLAND KEIN KRIEG AUSZUGEHEN HÄTTE – wo ist der Vertrag eigentlich? Herrn Dr. Drewermann fragen! – braucht sich niemand um das Senken der CO2-Emissionen zu kümmern oder ein endlich niedrigeres Fahrtempo auf der Autobahn.
Hat jemand Sorge um meine Seele, angesichts dieses sarkastischen Tons, den manche realpolitisch nennen werden?
Braucht Ihr nicht. Keine Sorge. Ich weine ab und zu, zum Beispiel heute morgen.
Gehe ab und zu in die Kirche, übrigens fast egal, in welche. Lese mich ansprechende, gute aufbauende Literatur, Artikel, Weisheitsliteratur, Poesie. Sitze täglich für mindestens eine Stunde auf einem Kissen, mit geschlossenen Augen, vertraue mich meinem Atem an.
Früher gingen viele Abgeordnete, als ich noch bei der Fraktion „Die Grünen im Bundestag“ angestellt war, – Freitags, glaube ich -, in die nahe gelegene Kirche St. Winfried, im Bonner Bundesviertel. Vielleicht taten sie das immer vor Plenarsitzungen, ich erinnere mich nicht. Mein Eindruck war: Es tat ihnen gut. Mal war der Priester inspirierter, mal weniger. Na und? Ich lebe in einer Stadt mit katholischer Dominanz. Auch das hat mir, protestantisch von Geburt und buddhistisch beziehungsweise zen-praktizierend, nicht geschadet. Im Gegenteil.
Ich finde, wenn es um wirklich große Themen geht, die uns, unsere Kapazitäten des individuellen Verstehens oder Ertragens übersteigen, wie Geburt, einschneidende Verluste und Lebensübergänge, gewichtige ethische Fragen und Verfehlungen, Schuld, um schwere Krankheit, Tod und Mord – Krieg ist kollektiver Mord!, – erlitten oder zugefügt, meist beides -, dann möchte ich mich geborgen wissen in einer Gemeinschaft und einem größeren Kontext einer „Höheren, Guten Macht“. Wenn ich schon ein gutes Stück an Reifung hinter mir habe, wünsche ich dasselbe allen anderen auch. Allen. Auch meinen Gegnern, sogenannten Feinden, irgendwelchen Hasserinnen oder Hassern. Ich wünsche mir und allen Besonnenheit, dass sie nicht die Nerven verlieren und herum ballern. Dass sie, wenn sie seelisch beeinträchtigt sind, Hilfe suchen und finden oder für eine Zeit in Gewahrsam (therapeutisch, forensisch, psychiatrisch) genommen werden. Ich bitte darum, dass sie sich aufgehoben fühlen in einem gütigen, angemessenen Kontext. Allen wünsche ich, dass sie genügend zu Essen und zu Trinken haben, einen Rückzugsort, der einigermaßen sicher ist – besonders wichtig für Schwangere und Kranke, gebärende und stillende Mütter und Mütter oder Angehörige von jungen Kindern, für Mädchen und Frauen, wenn sie ihre Periode haben, für Jugendliche, Alte und Sterbende.
Um solche Sätze, von denen ich hoffe, das sie einigermaßen vernünftig und annehmbar klingen, schreiben zu können, mit Herz und Verstand, brauche ich ruhige Zeit. Auch Sie brauchen, wir brauchen Rückzugsorte, Räume der Stille zum Innehalten. Das können oder könnten Kirchen gut bieten! Das tun Synagogen, Moscheen auch. Diese Anschläge gerade auf Häuser der Stille, Geborgenheit und Sammlung, müssen unter Strafe gestellt werden, auch Schmierereien! GERADE religiöse Orte anzugreifen, ist eine solche Schweinerei! Das alles macht Angst und erzeugt wieder Gewalt.
Ehrlich gesagt, es täte uns allen gut, besonders VOR wichtigen Gesprächen, Terminen, Reisen in die nächstgelegene Kirche zu gehen – hoffentlich ist sie offen und bietet eine gemütliche „Ecke“. Ich bin eine Verfechterin von offenen Kapellen und Kirchen* aus genanntem Grund. Eine solche Übung ist EINE Art, demütig oder sagen wir lieber: bescheiden zu bleiben oder wieder zu werden.
Verpflichten Sie sich selber dazu. Sprechen Sie laut oder leise ein paar Zeilen aus einem Lieblingsgedicht, das deutlich auf Frieden, Großzügigkeit und Geduld hinweist, vielleicht Ihrer Lieblingsdichterin oder eines Sängers. Damit mahnen Sie sich selber, einen bestimmten Rahmen des Anstands, eine Möglichkeit der De-Eskalation, der aktiven Verhinderung des nächsten Schrittes zu einem kriegerischen Zerwürfnis, näher zu kommen.
Glauben Sie mir, ich bin 71 Jahre alt und habe Einiges erlebt, gehört, gesehen: Es lebt sich leichter mit einer friedvollen Motivation, einem überwiegend und manchmal „bereinigten“ guten Gewissen, und ich hörte, es stirbt sich auch leichter. Immerhin hätten Sie Friedenswahrung wirklich probiert. DANKE.
Für Seelsorger*innen, geistliche Begleiter*innen, Diakone, Presbyter*innen und Pfarrgemeindebeiräte usw. hätte ich noch eine Anregung: Jede der christlichen Kirchen, nach ihren Möglichkeiten, mit einem Raum der Stille auszustatten: Sparsam interreligiös. In dem es möglich ist, Stühle, ein paar Sessel für gebrechliche Herrschaften, vielleicht sogar eine Couch zum Ausruhen, zum Verschieben, so dass Besucher*innen angenehm geborgen alleine, zu zweit oder/und in einer Kleingruppe allein oder zusammen sitzen können. Es muss klar sein, dass Stille gewahrt und kontrolliert wird, dass man diesen oder einen zusätzlichen Raum zum Beispiel einmal am Tag – für eine Gesprächsgruppe – buchen kann. – Wichtig wäre mir, dass es Wasserflaschen zu erwerben gibt, und ein Warmwasserbereiter mit Bechern und wenigen guten Teesorten bereit steht: Alles nach dem Besuch wieder selber aufzuräumen. – Ferner wäre mir wichtig, dass BürgerInnen, Nachbarn, Gäste in angemessener und kreativer Weise mitgestalten können. Natürlich in vollem Respekt für traditionelle Gebetszeiten, Gottesdienste. – Soviel Toleranz muss sein, sollte gelernt werden. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass solche Experimente Früchte tragen werden: Glaube, Stille, Gebet, Poesie und andere Künste gehören zum Mensch-Sein, es muss und darf wieder Spaß machen, in die Kirche zu gehen! Ich erinnere mich gerade an die Kirche der Innenstadt von Middelburg auf der Halbinsel Walcheren in den Niederlanden, der „Lange Jan“, in der ich mit meiner Tochter, als sie noch ein Kind war, immer etwas für uns beide Anregendes oder Schönes fand. Kinder hatten natürlich ihre eigenen niedrigen Möbel und Bastelzeug, und für Gross und Klein gab es zu niedrigen Preisen Getränke und Kuchen. Vielleicht fragt man auch einmal Teenager, was sie in einem Stillen Raum gern vorfinden würden. – Das braucht Personal, sagen Sie? Das finden wir garantiert. Wenn wir nur wollen. Wenn wir die Kirchen, Gotteshäuser, wirklich mit Leben und das heißt auch: mit Neuem, Unbekanntem, füllen wollen.
Bild von Jenny Friedrichs auf Pixabay