Roshi Bernie Glassman war der erste Zen-Lehrer, mit dem ich, für einen Zen Lehrer, ausgesprochen viel Kontakt hatte. Zu der Zeit, als ich ihn kennenlernte, hatte er schon kein Interesse mehr daran, persönlicher Lehrer von Schülerinnen und Schülern zu sein. Seine Verpflichtungen mit dem Greystone-Projekt und der Entwicklung der Zenpeacemaker-Gemeinschaft nahmen viel Raum ein. Insgesamt konnte ich ihn – oft zusammen mit seiner Frau Roshi Eve Marko – bei folgenden Angeboten näher kennenlernen: Während fünf Auschwitz-Zeugnis-Ablegen-Retreats jeweils à fünf Tagen, bei mehreren eineinhalb-tägigen Council-Trainings in Krakau, während des Native American-Zeugnis-Ablegen-Retreats in den Black Hills (South-Dakota) 2015.

Das erste Mal traf ich ihn persönlich bei einem Zenpeacemaker-Treffen in Mainz 2011 am Ende eines Kongresses für Ethik und Wirtschaft, von wo aus wir, mein Ex-Mann und ich und eine gute Freundin, ihn (Bernie) mit nach Bonn in unser Zuhause mitnehmen durften. Bei einer anderen Gelegenheit hörte ich ihn in der Nähe von Zürich einen Vortrag über das „spontane Geben“ halten, der mich zutiefst berührt hat.

Bei den Zeugnis-Ablegen-Retreats und den entsprechenden Busfahrten oder Fußmärschen, und Speisesälen oder Synagogen oder einfach so, geschah es nicht selten, dass man neben dem Zen Meister ging oder saß und sich mit ihm unterhielt oder schwieg. Die tägliche Council-Praxis unterstützte – jedenfalls für diejenigen Lehrerinnen und Lehrer, die bereit dazu waren und sich weiter entwickelten, und zu diesen gehörte Bernie – eine flache oder kaum vorhandene, spürbare Hierarchie. Ein unfassbarer Fortschritt oder eine Weiterentwicklung von Zen, die wir auch dem vietnamesischen Zen Meister Thich Nhat Hanh verdanken, der sich selber jedoch nicht so intensiv persönlich riskierte, wie Roshi Bernie es tat. Das wäre mit seiner spirituellen Leitungstätigkeit mehrerer Klöster wohl auch kaum zu vereinbaren gewesen.

Durch unsere diesjährige Auschwitz-Friedens-Pilgerfahrt sowie durch die Planung der kommenden Pilgerfahrt nach Auschwitz in 2025 ist Bernie Glassman mir wieder sehr nahe gerückt. Ich kann Teile seiner Unterweisungen, zum Beispiel über das spontane Geben quasi auswendig. Ich spüre ein Bedürfnis, Euch, meine lieben Interessierten, an diesem ungeheuren Schatz an kreativ gelebtem Zen teilhaben zu lassen.

Zu diesem Vortrag wurde ich auch motiviert durch die Beschäftigung der everydayzen-Sitzgruppe Bonn mit dem für Buddhisten zentralen Thema der „Sechs Paramitas (Vollkommenheiten) des Mahayana Buddhismus, von denen die erste „Vollkommenheit“ (ich möchte lieber von „Haltung“ sprechen) das „Geben“ ist (oder auch Freigiebigkeit). Wir in der Gruppe haben uns gerade entschieden, das Buch von Norman Fischer „The World Could Be Otherwise“ systematisch zu studieren, in dem es nämlich ausführlich um die Erschließung dieser sechs Haltungen geht sowie einer siebten, die dem Buch zu einem Untertitel verholfen hat, nämlich der „Vorstellungskraft (engl. Imagination) und dem Weg des Bodhisattva“. Diese siebte Haltung ist eine Eigenschöpfung des Buchautors und Zen Lehrers. Diese verdeutlicht, welch‘ hohen Stellenwert unsere Vorstellungskraft einnimmt – eine ebenfalls zu übende Fähigkeit auf dem Weg der Zenpraktizierenden.

Davon ist in meinem ersten von mehreren noch folgenden Vorträgen überhaupt noch nicht die Rede. Mit dieser Art zu sprechen möchte ich meinen Freundinnen und Freunden, die schreiben und/oder mit mir „sitzen“, wie man im Zen sagt, Mut machen, wirklich von sich selber auszugehen, und den Versuchungen, irgendwelchen Erwartungen zu entsprechen zu widerstehen. Wenn wir diese Kunst annähernd beherrschen, und das ist manchmal knochenharte Arbeit, sind wir dem Geheimnis von Zen schon ein gutes Stück näher gekommen.

Auf beide Lehrer im Zusammenhang mit dem „GEBEN“ werde ich jedoch noch eingehen, in höchst unterschiedlicher Weise. Mit dem einen bin ich gereist, gelaufen, habe meist unter freiem Himmel gesessen,  gesungen, geschwiegen, rezitiert. Mit dem anderen, meinem Lehrer seit fünf oder sechs Jahren (oder seit ich sein für mich erstes Buch „Unseren Platz einnehmen“ ca. 2008 verschlang?) habe ich Stunden im selben Raum verbracht, die ich noch leicht zählen kann: In Paris bei einem typisch-leckeren Frühstück vielleicht zwei oder drei, in San Francisco, während des Sesshins am Ende der Praxisperiode, sieben Tage. – Der Bildschirm sollte sich als beinahe täglich genutzter, brauchbarer gemeinsamer Atemraum erweisen. Und das geschriebene Wort, ganz überwiegend von Bonn nach Muir Beach oder wo immer Roshi Norman Fischer weilte, verband die Welten.

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